Pfarrer | 16.02.1924 – 07.10.2018
10.06.1926 – 03.12.2019
Viele werden sich noch an „Gustl" erinnern, wie er oft liebevoll genannt wurde. Gustl Roth, von 1956 bis 1978 Pfarrer der Giesensdorfer Gemeinde.
Oft wurde er spätabends gerufen, wenn jemand im Sterben lag, und er radelte dann los, um das letzte Abendmahl zu spenden. Mit seinem Fahrrad war er in der Gemeinde unterwegs, fuhr zum Einkaufen auf den Markt und war auch dort immer ansprechbar für die Gemeinde. So war er mit Leib und Seele „Pfarrer in seinem Dorf". Am Licht, das die halbe Nacht in seinem Dienstzimmer (heute befindet sich hier die Küsterei) brannte, war zu erkennen, wie lange er an seinen Sonntagspredigten feilte.
Gustav Roth wurde in München geboren. Nach dem frühen Tod seiner Eltern wuchs er behütet bei einer Tante in Freiburg auf. Im letzten Kriegsjahr musste er noch Soldat werden, kehrte aber unverletzt nach Hause zurück. In Tübingen studierte er dann Theologie und konnte 1947 für ein Jahr nach England gehen, wo er vielfältigen freikirchlichen Traditionen begegnete. In Berlin beendete er sein Studium, machte in Dahlem sein Vikariat und heiratete Annemarie, die er in der Jugendarbeit im Körnerpark in Neukölln kennengelernt hatte. Erst 32 Jahre alt, trat er seinen Dienst als Nachfolger von Pfarrer Kanitz in Giesensdorf an und blieb ganze 22 Jahre. Mit seinem Elan und neuen Ideen begeisterte er die Jugend und mit seinen bewegenden Predigten, die oft im Rundfunk übertragen wurden, auch die Älteren.
Die zweckmäßige Umgestaltung des Gemeindehauses und die Fertigstellung der wiederaufgebauten Dorfkirche fielen in seine Amtszeit. Seine ehrenamtlich und vielseitig in der Gemeinde mitarbeitende Frau Annemarie und die drei Kinder spielten mit ihm zusammen Flöte und musizierten bei Gemeindeveranstaltungen.
1978 setzte er seine Arbeit als Superintendent in Kreuzberg mit großem Engagement für die Ökumene und für ein besseres Verständnis der Religionen untereinander fort. Annemarie Roth arbeitete bis zu ihrem Ruhestand als Mitarbeiterin in der Kreuzberger Frauenarbeit, besonders im Frauen-Café der Martha-Gemeinde. Ihren gemeinsamen Ruhestand genossen sie in Friedenau in der Patmos-Gemeinde, wo sie sich mit ihrem Wissen und ihren Erfahrungen aktiv und lebhaft am Gemeindeleben beteiligten.
Nach einem erfüllten Leben starb Gustl Roth 94-jährig in seinem geliebten Sessel.
In der Traueranzeige schreibt seine Familie: „Seine kritische Haltung war für ihn ein unabdingbarer Bestandteil des Lebens und der Arbeit in seiner Kirche. Die Vision einer friedlichen, ökumenisch und durch Dialog geprägten Welt verband ihn mit einem großen Freundeskreis, dem er viele theologische Impulse gab."
Annemarie Roth, ohne die sein Leben so nicht denkbar gewesen wäre, folgte ihrem Mann ein Jahr später auf dieselbe Grabstelle.
Text: Gisela und Bernd Meyer, Juli 2021